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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Bremen
Beschluss verkündet am 06.02.2007
Aktenzeichen: 1 B 466/06
Rechtsgebiete: BremVwVG


Vorschriften:

BremVwVG § 16
Zur Zulässigkeit der Androhung der Versiegelung von Gerätschaften als Maßnahme des unmittelbaren Zwangs zur Durchsetzung der Untersagung der Veranstaltung und Vermittlung von Sportwetten.
Oberverwaltungsgericht der Freien Hansestadt Bremen Beschluss

OVG: 1 B 466/06

In der Verwaltungsrechtssache

hat das Oberverwaltungsgericht der Freien Hansestadt Bremen - 1. Senat - durch die Richter Stauch, Göbel und Alexy am 06.02.2007 beschlossen:

Tenor:

Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen die Verfügung der Antragsgegnerin vom 20.07.2006 wird insoweit wiederhergestellt, als sich der Widerspruch gegen Nr. 2 der Verfügung (Androhung unmittelbaren Zwangs) richtet; insoweit wird der Beschluss Verwaltungsgerichts der Freien Hansestadt Bremen - 5. Kammer - vom 09.11.2006 entsprechend abgeändert.

Im Übrigen wird die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Antragsteller.

Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 7.500,00 Euro festgesetzt.

Gründe:

A.

Der Antragsteller betreibt seit dem 15.09.2003 in Bremerhaven ein Geschäft, in dem er Oddset-Wetten an die Firma Goalbetter (UK) Limited (London) vermittelt, die eine britische Buchmacherlizenz besitzt. Mit Verfügung vom 20.07.2006 verbot ihm die Antragsgegnerin, in der Stadtgemeinde Bremerhaven Sportwetten zu veranstalten, zu vermitteln oder zu bewerben, und drohte ihm die Anwendung unmittelbaren Zwangs durch Versiegelung von Gerätschaften für den Fall der Nichteinhaltung des Verbots an; zugleich wurde die sofortige Vollziehung der Verfügung angeordnet. Den Antrag, die aufschiebende Wirkung des - rechtzeitig erhobenen - Widerspruchs gegen diese Verfügung wiederherzustellen, hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 09.11.2006 abgelehnt. Dagegen richtet sich die Beschwerde des Antragstellers.

B.

Die Beschwerde hat keinen Erfolg, soweit sie die sofortige Vollziehung der Untersagung des Wettbetriebs (Nr. 1 der angefochtenen Verfügung) betrifft. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag insoweit zu Recht abgelehnt. Die Begründung der Beschwerde, auf deren Überprüfung das Oberverwaltungsgericht gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, rechtfertigt keine andere Entscheidung.

I.

Zutreffend hat das Verwaltungsgericht § 12 Abs. 1 des Lotteriestaatvertrags i.V.m. § 2 Abs. 3 des Gesetzes zur Ausführung des Staatsvertrags vom 15.06.2004 (Brem. GBl. S. 291) und § 1 der Verordnung über die Zuständigkeiten im Glücksspielrecht vom 18.05.2006 (Brem. GBl. S. 257) als ausreichende Rechtsgrundlage für die Verfügung angesehen. Das entspricht der Rechtsprechung des beschließenden Senats (Beschl. v. 07.09.2006 - 1 B 273/06 - NordÖR 2006, 398). Die Beschwerdebegründung beschränkt sich darauf, bloße Zweifel an dieser Rechtsauffassung zu behaupten, ohne diese näher auszuführen. Das genügt nicht dem Darlegungserfordernis des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO.

II.

Zu Recht hat das Verwaltungsgericht auch ausgeführt, dass es für die Rechtmäßigkeit der ordnungsrechtlichen Verfügung nicht darauf ankommt, ob die untersagte Tätigkeit gegenwärtig nach § 284 StGB bestraft werden kann. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts können die Ordnungsbehörden nämlich auch unabhängig von der Frage der Strafbarkeit in der Übergangszeit ordnungsrechtlich gegen die Wettvermittlung vorgehen (vgl. zuletzt Beschl. v. 19.10.2006 - 2 BvR 2023/06 - , WM 2006, 2326, Rn 20). Die Darlegungen der Beschwerde zur Rechtsprechung der Strafgerichte sind deshalb für die hier zu treffende Entscheidung nicht erheblich. Das gilt auch für den Hinweis des Antragstellers auf die ausstehende Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs in den verbundenen Rechtssachen C-338/04, C-359/04 und C-360/04 (Placanica u.a.) über die Strafbarkeit der Wettvermittlung in Italien (vgl. auch dazu BVerfG, a.a.O., Rn 20).

III.

Zutreffend hat das Verwaltungsgericht auch ausgeführt, dass die vom Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 28.03.2006 ( - 1 BvR 1054/01 - BVerfGE 115, 276) angeordnete Übergangsregelung mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar ist.

Zu Unrecht meint der Antragsteller, eine gemeinschaftskonforme Regelung könne nicht übergangsweise, sondern nur durch den Erlass einer endgültigen gesetzlichen Regelung herbeigeführt werden. Für die Übergangszeit tritt die Anordnung des Bundesverfassungsgerichts an die Stelle einer gesetzlichen Regelung. Die Inanspruchnahme einer solchen verfassungsgerichtlichen "Notkompetenz" (BayVGH, Urt. v. 10.07.2006 - 22 BV 05.457 - unter Hinweis auf § 35 BVerfGG) begegnet aus formellen Gründen keinen gemeinschaftsrechtlichen Bedenken. Die Übergangsregelung ist aber inhaltlich am Gemeinschaftsrecht zu messen (vgl. den Beschluss des Senats vom 07.09.2006; ebenso jetzt auch OVG Münster, Beschl. v. 22.11.2006 - 13 B 1796/06 - <juris>, in Abgrenzung zu OVG Münster, Beschl. v. 28.06.20006 - 4 B 961/06 - NVwZ 2006,1078 <1080f.>). Diese Überprüfung ergibt, dass das für den Übergangszeitraum vorläufig geltende Regime eine Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit (Art. 49 EG) darstellt, die aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt ist. Das hat der beschließende Senat in seinem Beschluss vom 07.09.2006 näher ausgeführt; an seinen damaligen Ausführungen, die das Verwaltungsgericht dem Antragsteller übermittelt hat, hält er fest. Es geht also nicht darum, wie der Antragsteller unter Berufung auf das Vorabentscheidungsersuchen des VG Köln (Beschl. v. 21.09.2006 - 1 K 5910/05 - , GewArch 2006, 467)) meint, die Anwendung des Gemeinschaftsrechts für eine Übergangszeit auszusetzen. Einer Auseinandersetzung mit den in diesem Beschluss angesprochenen Fragen bedarf es daher nicht.

IV.

Ohne Erfolg rügt die Beschwerde auch, dass das Verwaltungsgericht die Voraussetzungen als erfüllt angesehen hat, unter denen nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 28.03.2006 für die Übergangszeit am bestehenden staatlichen Wettmonopol festgehalten werden darf.

1.

Entgegen der Auffassung des Antragstellers ist maßgebend insoweit allein, ob diese Voraussetzungen im Lande Bremen eingehalten sind. Zuständig für die vom Bundesverfassungsgericht verlangte Neuregelung sind, solange der Bund von seiner Kompetenz zur konkurrierenden Gesetzgebung nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 11, Art. 72 Abs. 2 GG keinen Gebrauch gemacht hat, die Länder. Sie haben nicht nur die gesetzlichen Regelungen zur Neuordnung des Sportwettenrechts zu treffen, sondern auch die Maßnahmen, die nach dem Urteil des Bundesverfassungsgericht schon während der Übergangszeit erforderlich sind, damit das bisherige Wettmonopol bis zum 31.12.2007 bestehen bleiben kann. Dementsprechend ist lediglich zu prüfen, ob in dem Land, dessen Behörden vor Erlass eines verfassungsgemäßen Gesetzes tätig geworden sind, den Anforderungen an das Übergangsregime Genüge getan ist. Allein auf das jeweilige Land stellt auch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ab (vgl. Urt. v. 28.03.2006, a.a.O., Rn 157; Beschl. v. 04.07.2006 - 1 BvR 138/05 - WM 2006, 1644, Rn 17; Beschl. v. 19.10.2006, a.a.O., Rn 19). Warum stattdessen für die Übergangszeit eine länderübergreifende Beurteilung geboten sein sollte, legt die Beschwerde nicht dar.

2.

Im Land Bremen sind die Voraussetzungen, unter denen das staatliche Wettmonopol für die bis zum 31.12.2007 befristete Übergangszeit aufrechterhalten bleiben darf, erfüllt. Das Bundesverfassungsgericht hat diese Voraussetzungen wie folgt formuliert:

"Auch in der Übergangszeit muss allerdings bereits damit begonnen werden, das bestehende Wettmonopol konsequent an einer Bekämpfung der Wettsucht und einer Begrenzung der Wettleidenschaft auszurichten. Der Staat darf die Übergangszeit nicht zu einer expansiven Vermarktung von Wetten nutzen. Daher sind bis zu einer Neuregelung die Erweiterung des Angebots staatlicher Wettveranstaltung sowie eine Werbung, die über sachliche Informationen zur Art und Weise der Wettmöglichkeit hinausgehend gezielt zum Wetten auffordert, untersagt. Ferner hat die Staatliche Lotterieverwaltung umgehend aktiv über die Gefahren des Wettens aufzuklären." (Urt. v. 28.03.2006, a.a.O.,Rn 160)

Wie der Senat in seinem Beschluss vom 07.09.2006 ausgeführt hat, waren zum damaligen Zeitpunkt im Land Bremen die folgenden Maßnahmen zur Umsetzung dieser Vorgaben ergriffen worden:

"Einschränkung des Wettangebots

- Es werden keine Halbzeitwetten mehr angeboten. Livewetten werden ausgeschlossen.

- Der maximale Spieleinsatz wurde auf 250,00 Euro reduziert. Einschränkung des Vertriebs

- Wetten über SMS sind seit dem 28.04.2006 nicht mehr möglich.

- Es gibt keine Wettmöglichkeiten in unmittelbarem räumlichen Zusammenhang mit Sportveranstaltungen mehr.

- Es wird an einem Verfahren zur Verifikation der persönlichen Angaben des Wettkunden (Alter und Adresse) gearbeitet.

Einschränkung der Werbung

- Es gibt keine Oddset-Fernsehwerbung und keine Oddset-Bandenwerbung in Stadien mehr. In Bremen und Bremerhaven wurden bis Ende April 2006 alle Banden auf Sportplätzen demontiert.

- Die Rundfunkwerbung wurde bis auf weiteres ausgesetzt.

- Es wird keine Trikotwerbung geben.

- Die Straßenbahnbeklebung wurde Anfang Mai 2006 entfernt.

- Die alten Plakate und Informationsbroschüren wurden eingezogen und überarbeitet.

- Die Texte im Internet wurden überarbeitet.

Maßnahme zur Suchtprävention

- Auf allen Wettscheinen wurde ein Hinweis auf die Suchtgefahr aufgedruckt.

- Im Internet wurde auf der Homepage ein entsprechender deutlicher Hinweis angebracht.

- Es wird daran gearbeitet, die Mitarbeiter der Annahmestellen in die Suchtprävention einzubeziehen.

- Es wird an einem Kundenidentifikationssystem für die Annahmestellen gearbeitet."

Das Verwaltungsgericht hat diese Maßnahmen - ebenso wie der beschließende Senat - als ausreichend erachtet. Die Darlegungen der Beschwerde rechtfertigen keine andere Beurteilung. Ihnen lässt sich nichts dafür entnehmen, dass im Land Bremen in der Zwischenzeit von der Umsetzung der damals eingeleiteten Maßnahmen Abstand genommen worden wäre.

V.

Soweit die Beschwerde geltend macht, die privaten Belange des Antragstellers seien im Rahmen der Abwägung nach § 80 Abs. 5 VwGO nicht hinreichend abgewogen worden und die Anordnung der sofortigen Vollziehung sei unverhältnismäßig, ist sie nicht hinreichend substantiiert. Die Wiedergabe des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 19.06.1973 (BVerfGE 35, 263) vermag eine Auseinandersetzung mit den Gründen der angefochtenen Entscheidung nicht zu ersetzen. Das gilt umso mehr, als die angefochtene Entscheidung zur Begründung ihrer Interessenabwägung gerade auf die neuere Rechtsprechung zur sofortigen Vollziehung von Verfügungen Bezug nimmt, mit denen die Vermittlung von Sportwetten schon während der Übergangszeit untersagt wird (vgl. zuletzt Beschl. v. 19.10.2006, a.a.O., Rn 21). Ob die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Antragstellers und die von ihm getätigten Investitionen im Einzelfall das öffentliche Vollzugsinteresse überwiegen, kann nur dann geprüft werden, wenn sie vom Antragsteller konkret dargelegt werden. Einzelfallbezogene Ausführungen enthält die Beschwerde jedoch nicht.

C.

Die Beschwerde ist hingegen begründet, soweit sie die sofortige Vollziehung der Androhung unmittelbaren Zwangs (Ziff. 2 der angefochtenen Verfügung) betrifft. Insoweit begegnet die Verfügung der Antragsgegnerin erheblichen rechtlichen Bedenken. Fraglich ist schon, ob die Versiegelung von Geräten und Einrichtungen die Merkmale des unmittelbaren Zwangs im Sinne von § 16 BremVwVG erfülllt. Unabhängig davon ist unmittelbarer Zwang nach dieser Vorschrift nur zulässig, wenn Zwangsgeld nicht zum Ziel führt oder untunlich ist. Diese Voraussetzungen sind hier gegenwärtig nicht erfüllt. Nach § 14 Abs. 2 BremVwVG kann für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen die Untersagungsverfügung ein Zwangsgeld von bis zu 50.000,00 Euro angedroht und festgesetzt werden. Ein Zwangsgeld in dieser Größenordnung ist auch unter Berücksichtigung der Gewinnerwartungen, die mit dem Betrieb von Sportwetten verbunden sind, nicht von vornherein ungeeignet, den Betreiber zur Beachtung der Untersagungsverfügung anzuhalten. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass der Antragsteller aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalls durch ein Zwangsgeld nicht beeindruckt und nicht von der Fortsetzung des Wettbetriebs angehalten werden könnte, gibt es bisher nicht. Solange die Androhung und Festsetzung eines Zwangsgelds nicht wenigstens versucht worden sind, erscheint die Androhung unmittelbaren Zwangs deshalb als unverhältnismäßig (vgl. auch VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 12.01.2005 - 6 S 1287/04 -, DöV 2005, 387 < >; BayVGH, zuletzt Beschl. v. 21.08.2006 - 24 CS 06.1651 u.a. - <juris>).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 3, Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 3, 52 Abs. 1 GKG.

Ende der Entscheidung

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